Montag, 23. Mai 2011

Gute Reise

"Dann gute Reise!"

"Was meinst du damit? Was für eine Reise wünschst du mir?"

"Eine gute, das hab ich doch gesagt."

"Ja, aber was verstehst du unter einer guten Reise? Ich will doch wissen, was du mir eigentlich wünschst."

"Na, erstmal, dass dir nichts passiert. Dass dein Flugzeug nicht abstürzt, dass du keinen Unfall hast, dass du nicht ausgeraubt wirst, und so weiter."

"Deine Ansprüche an 'gut' sind ja eher bescheiden. Ist 'gut' für dich wirklich bloß die Abwesenheit von 'schlecht'? Oder kommt da noch was?"

"Natürlich. Schönes Wet... Okay, machen wir's ganz genau: Temperaturen, die für dich angenehm sind, Niederschlag, der dich erfrischt, Sonnenschein, der dich belebt, Essen, das dir schmeckt und zu deiner Gesundheit beiträgt, Ruhe, bei der du dich entspannen kannst, Gespräche, die deinen Geist anregen, Bewegung, die deinem Körper gut tut, Anblicke, die dich berauschen, mit Ehrfurcht erfüllen oder auch nur deine Neugier befriedigen, und alles, was sonst noch zu deiner Freude beiträgt. Und etwas, das dir über die Dauer deiner Reise hinaus bleibt."

"Hepatitis?"

"Nein, Mensch! Ein tiefer Eindruck, etwas, das deinem Leben eine neue Richtung gibt, eine Freundschaft..."

"Eine Schwangerschaft?"

"Von mir aus auch eine Schwangerschaft, wenn du das willst"

"Das klingt, als fiele eine Schwangerschaft in deinem Wertesystem nicht unter 'gut'. War es nicht gut, dass deine Mutter schwanger war?"

"Doch, natürlich. Aber auch Hitlers Mutter war mal schwanger."

"Das stimmt. Hätte man seit damals alle Schwangerschaften verhindert oder vorzeitig beendet, wäre der Menschheit viel erspart geblieben. Auch dieses Gespräch übrigens."

"Nun ja, das wäre vielleicht nicht der größte Verlust. Aber ich meine ja auch nur, eine Schwangerschaft kann man nicht per se als 'gut' oder 'schlecht' werten. Es kommt darauf an, was du dir wünschst."

"Eine Schwangerschaft ist also dann nicht gut, wenn sie von der Mutter nicht gewünscht ist?"

"Ja, ich denke, so würde ich das formulieren."

"Meine Mutter hat sich auch keine Schwangerschaft gewünscht. Damit stellst du also die Berechtigung meiner Existenz in Frage. Gut, dass wir das geklärt haben."

Wortlos drehte sie sich um, zeigte ihre Bordkarte vor und ging durch die Absperrung in den Boardingbereich. Manchmal wünsche ich mir, Großmutter könnte einfach "Danke" sagen, wenn ich sie zum Flughafen gefahren habe.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen