Das San Lorenzo, zur besten Zeit, voll mit Gästen, und seine Schwiegertochter Maria nur durch einen glücklichen Zufall nicht im Gästeraum, eine ihrer Freundinnen tot, Gian Luca, der Oberkellner, auf der Intensivstation, die Kasse geraubt: Sergio Cabagnelli saß an einem wuchtigen antiken Schreibtisch in seiner Bibliothek und ließ sich von seinem Sohn Enrico am Telefon jede Einzelheit des Überfalls schildern, so wie Enrico sie in Erfahrung gebracht hatte. Vor ihm lag ein aufgefächerter Papierstapel. Die einzelnen Seiten waren eng mit einer altmodischen Schreibmaschine beschrieben. Rechts davon lagen übereinander drei im A4-Format ausbelichtete Farbfotos.
"Wer ist das?! Wer tut das?! Das ist unsere gottverdammte Stadt!" In Enricos Wut mischten sich Unglauben und leise Verzweiflung, so als könnten nur überirdische, unbezwingbare Mächte es überhaupt gewagt haben, das Protektorat der Cabagnellis anzurühren. Und in der Tat hatten er dafür gesorgt, dass in der ganzen Stadt kein Ladendieb auch nur eine Schachtel Zigaretten aus einem Laden zu stehlen wagte, der den Schutz der Cabagnellis genoss.
Sergio Cabagnelli schwieg einen Augenblick. Dann sprach er bedächtig: "Ein Schuss in den Kopf, genau zwischen die Augen, das ist nicht die Tat eines Räubers, der die Nerven verliert, auch wenn es das ist, was die Policia wohl denkt. Es ist die Tat eines kühlen, besonnenen Mannes, der uns eine Botschaft senden will."
"Eine Botschaft, indem er Lucia tötet? Sie ist nur eine Freundin der Familie, sie ist nicht Familie. Gian Luca ist Familie, aber Gian Luca wird leben."
"Lucia war nur das Papier, auf das er seine Botschaft geschrieben hat. Ich kenne nur einen Mann, mit dem die Wege unserer Familie sich gekreuzt haben, der seine Botschaften auf diese Art übermittelt: Bogdan. Enrico, du weißt, was du zu tun hast", sagte Sergio mit entschlossener Stimme, "Wir bekämpfen unsere Feinde nicht. Wir unterwerfen oder vernichten sie senza indulgence. Und dieses Mal hat Bogdan seine Hand nicht nur gegen unsere Freunde erhoben, sondern gegen unsere Familie. Finde ihn, und lass ihm Gerechtigkeit zuteil werden."
Sergio nahm das oberste der Farbfotos in die Hand. Es war eines der Tatortfotos. Es zeigte Lucias Gesicht, auf der Seite liegend, Augen und Mund weit geöffnet. Aus der Stirnwunde war Blut über ihr rechtes Auge gelaufen und bedeckte dieses nun wie eine halbtransparente Augenklappe.
"Ich werde ihn finden", hörte er Enricos Stimme aus dem Hörer, "und dann werden sich seine Wege zum letzten Mal mit denen unserer Familie gekreuzt haben."
Sergio Cabagnelli nahm das zweite Foto vom Stapel. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sich die Aufnahme genauer ansah, die von der Überwachungskamera im San Lorenzo stammte. Diese stahlgrauen entschlossenen Augen erkannte er auch durch die schmalen Schlitze in der Sturmhaube ohne jeden Zweifel. Schließlich war Frank Lippert lang genug sein Sicherheitsmann gewesen.
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