Samstag, 9. April 2011

Hieb- und stichfest - Kapitel 1

"Meine Frau betrügt mich! Ich will, dass Sie das beweisen". So oder ähnlich hatte Norbert Stieglitz das in den letzten elf Jahren alle paar Tage gehört, seitdem er sich als privater Ermittler selbständig gemacht hatte. Eigentlich hatte er sich diesen Job anders vorgestellt: Entführungsopfer befreien, Betriebsspione enttarnen, Mordermittlungen zum Abschluss bringen, die die Polizei längst aufgegeben hatte, solche Dinge eben. Aber untreue Ehepartner? Damit ließ sich Geld verdienen, aber berufliche Erfüllung hätte für ihn anders ausgesehen.

Und jetzt saß ihm Enrico Cabagnelli gegenüber, dem in der Stadt eine Pizzaria gehörte, ein Eiscafé und der außerdem Miteigentümer eines örtlichen Entsorgungsbetriebs war - das zumindest war der Bereich seines Wirkens, von dem die Öffentlichkeit wusste.

Cabagnelli hatte sich für seine fünfundvierzig Jahre gut in Form gehalten, er trug einen teuren dunklen Anzug und seine noch völlig schwarze Lockenpracht fiel bis auf die Schultern seines Sakkos. Alles an ihm, von den maßgefertigten Budapestern über die leicht überdimensioniert wirkende Maurice Lacroix-Uhr bis zu seiner Designerbrille wirkten in der eher einfach eingerichteten Detektei deplatziert, doch ihn selbst schien das nicht zu stören. Er lehnte sich in dem weißen Kunstledersessel zurück, von denen Stieglitz optimistischer Weise damals gleich vier für seine Klienten angeschafft hatte, und die für Stieglitz Geschmack bei weitem nicht abgenutzt genug waren. "Ich will, dass Sie mir Beweise bringen", sagte Cabagnelli ernst, "hieb- und stichfeste Beweise, dafür oder dagegen."

"Dagegen?" Stieglitz schob die linke Augenbraue nach oben. "Wir können alles, was Ihre Frau tut oder sagt, und wo sie sich jeweils aufhält, über einen Zeitraum protokollieren, so lange Sie wollen. Reicht es Ihnen als Gegenbeweis aus, wenn sie Ihnen in diesem Zeitraum treu ist, und es auch keinen Hinweis darauf gibt, dass sie es danach nicht mehr sein wird?"

Cabagnelli nippte an dem Kaffee, den Stieglitz ihm eingeschenkt hatte und bemühte sich redlich, den Geschmack zu ignorieren, während er nachdachte. "Ja, das wird genügen müssen, denke ich." Dann fügte er hinzu: "Ein halbes Jahr. Tag und Nacht. Sie werden sein, wo Maria ist. Sie werden sie zum Shopping begleiten, ins Ristorante, in den Urlaub. Sie werden hören, was sie sagt, und mit wem sie spricht. Sie werden sehen, mit wem sie sich trifft, und ihre Post lesen. Sie werden alles aufnehmen, mit Bild und Ton. Aber Sie selbst bleiben dabei unsichtbar. Können Sie das?"

Ein halbes Jahr rund um die Uhr. Stieglitz zweifelte keinen Augenblick daran, dass sich Cabagnelli das würde leisten können. "Können Sie das?" wiederholte Cabagnelli seine Frage. Die Zweifel, die Stieglitz kamen, schluckte er hinunter. "Ja, ich kann das. Aber wir müssen noch..." - Cabagnelli hob die Hand, wie um Stieglitz zur Ruhe zu mahnen. Dann öffnete er die kleine Lederaktentasche, die er bis dahin achtlos neben sich hatte stehen lassen, und nahm daraus, eines nach dem anderen, zehn Bündel mit Hundert-Euro-Scheinen. "100.000 Euro. Reicht das als Anzahlung?"

"Ich denke, das wird genügen. Ich stelle Ihnen eine Quittung aus."

"Pa pa pa pa, wir sind Ehrenmänner, wir brauchen keine Quittung", erwiderte Cabagnelli und reichte Stieglitz die Hand. Während der den kräftigen Händedruck des Italieners erwiderte, musste er eine Frage loswerden, die ihn beschäftigt hatte, seitdem Cabagnelli seine Detektei betreten hatte. "Wieso vertrauen Sie gerade mir diese Aufgabe an?"

"Sie sind der richtige Mann dafür. Ich kann Maria im Moment nicht vertrauen, sonst hätte ich Sie nicht aufgesucht. Es kann sein, dass sie mich betrügt. Aber wenn, dann nur mit einem Mann von Klasse. Niemals mit einem wie Ihnen."

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