Samstag, 16. April 2011

Hieb- und stichfest - Kapitel 8

"Du brauchst keine Waffe."

"Wie, ich brauche keine Waffe? Das musst ausgerechnet du mir sagen!"

Norbert Stieglitz war irritiert. Er saß in dem Büro seines ehemaligen Schulkameraden Frank Lippert, der inzwischen ein gutgehendes Personenschutzunternehmen führte, und seit seiner Jugend leidenschaftlicher Sammler von Schuss-, Hieb und Stichwaffen aller Art war. Stieglitz hatte ihn angerufen und um ein Gespräch gebeten. Gehofft hatte er, Frank werde ihm auf dem "kurzen Dienstweg" eine Waffe samt der notwendigen Papiere besorgen. Zur Not auch ohne Papiere. Und vielleicht noch einen Crashkurs im Pistolenschießen geben.

Stattdessen bemühte sich genau dieser Frank Lippert nun, ihm klar zu machen, er benötige keine Waffe.

"Zieh eine Waffe nur, wenn du auch bereit bist, zu schießen. Und schieß nur, wenn du auch bereit bist, zu töten. Du willst aber gar nicht töten. Du brauchst also auch keine Waffe."


"Nach der Logik bräuchtest du auch keine..." wollte Stieglitz entgegnen, brach den Satz aber ab, als er sah, wie Frank seinen Blick über die fünf Jagdtrophäen gleiten ließ, die die Wand an der fensterlosen Seite seines Büros schmückten.

"Pass auf", sagte Frank und bemühte sich sichtlich, Mitgefühl und Verständnis in seine Worte zu legen, "du willst dich schützen, und das ist legitim. Aber eine Waffe wird dir dabei nicht helfen. In dem Moment, in dem du eine Waffe ziehst, ist das die maximale Eskalation. Angenommen, ein Schläger will dich verprügeln, und du ziehst deine Waffe: In diesem Moment wird aus einer harmlosen Prügelei ein Kampf auf Leben und Tod. Und den könntest am Ende du verlieren."

"Niemand will mich verprügeln. Jemand will mich, vielleicht jedenfalls, umbringen!"

"Aha. Und deshalb willst du ihn zuerst umbringen."

"Wenn es sein muss, ja. Ich will mich wenigstens verteidigen können."

"Erste Frage: Wann will er dich umbringen?"

"Keine Ahnung, ich hoffe ja nicht, dass er das schon in seinen Kalender eingetragen hat."

"Bei einem professionellen Killer müsstest du damit schon rechnen. Zweite Frage: Wo will er dich umbringen?"

"Mann, wie soll ich das denn wissen? Keine Ahnung, ich muss eben überall auf der Hut sein."

"Das ist doch schon mal eine gute Einsicht. Dritte Frage: Wie will er dich umbringen?"

"Hör zu, er hat allem Anschein nach schon einige Male getötet, und jedes Mal anders."

"Siehst du, du brauchst keine Waffe. Wenn er die Bremsleitungen deines Autos durchschneidet, oder deine Wohnung anzündet, oder deinen Kaffee vergiftet, was nutzt dir da eine Waffe? Mit einer Waffe kannst du mit viel Glück einen direkten, frontalen Angriff abwehren, aber mehr auch nicht. Eine Waffe würde dir wahrscheinlich mehr schaden als nutzen."

Stieglitz musste ihm widerwillig recht geben. Doch eine Beruhigung waren ihm die Worte seines alten Schulkameraden nicht. Der Gedanke, jemand könne es auf sein Leben abgesehen haben, überforderte ihn. "Mann, verdammt, was soll ich denn machen? Pass auf, ich kann mir keinen dauerhaften Personenschutz leisten, aber könntest du mir die nächsten zwei Wochen einen von deinen Jungs an die Seite stellen?"

"Dann erwischt er dich in der dritten Woche. Wir machen das anders. Komm mit!" Mit einem Ruck stand Lippert auf und ging zur Bürotür.

"Wohin?"

"Du bekommst jetzt einen Crashkurs. In 'Überleben'."

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