Sehr sorgfältig trug Maria Cabagnelli den nachtblauen Nagellack auf die Fingernägel der rechten Hand auf. Sie saß vor der Schminkkommode in ihrem Schlafzimmer, bekleidet mit einem ebenso nachtblauen spitzenbesetzten Body. Musik füllte den Raum, "Through the Barricades", ein alter Song von Spandau Ballet, klang aus der Surround-Anlage. Als endlich auch der Fingernagel des kleinen Fingers mit einer makellosen Lackschicht überzogen war, schraubte sie sorgsam den Deckel mit dem eingearbeiteten Pinsel wieder auf das Lackfläschchen. Dann musterte sie sich mit der Andeutung eines Lächelns im Spiegel. Maria Cabagnelli war eine schöne Frau mit zarten, schlanken Gesichtszügen. Sie war im letzten März fünfunddreißig geworden, von ein paar Lachfalten abgesehen, war ihre hell gebräunte Haut makellos glatt. Sie war nicht überschlank, ihre Proportionen unterstrichen wirkungsvoll ihre Weiblichkeit. Ihr langes gewelltes Haar trug sie im Moment offen, wenn sie ausging, hatte sie es jedoch meist zu einer komplizierten, aber glamourösen Hochsteckfrisur geflochten. Dann noch etwas Make-Up, und sie wäre perfekt für den Abend.
Maria wartete mit gespreizten Fingern einen Song lang ab, bis der Nagellack getrocknet war. Bruce Springsteens "Streets of Philadelphia" tönte jetzt aus den Boxen. Ein aufdringliches Klingelgeräusch aus ihrem Smartphone durchschnitt den melancholischen Klangteppich. Auf dem Display erschien das Gesicht von Papst Benedikt XVI, aber es war natürlich nicht wirklich der katholische Kirchenführer, der mit ihr sprechen wollte. Den meisten der Kontakte in ihrem Telefonbuch hatte sie Fotos bekannter Persönlichkeiten zugeordnet: Rief ihre Freundin Andrea an, erschien das Bild von Angelina Jolie, bei ihrem Ehemann Enrico war es ein Foto von George W. Bush, bei ihrer Mama das Konterfei von Barbara Streisand, und bei ihrem Schwiegervater Sergio war es eben das amtierende Oberhaupt der katholischen Kirche.
"Papa, wie geht es dir!" - in ihrer Stimme lag eine Mischung aus Überraschung und Freude.
"Wenn ich die Stimme meiner Maria höre, kann es mir nur großartig gehen. Ohne dich ist Mailand doch nur eine Stadt aus Staub und Steinen. Cara mia, wir müssen uns treffen. Nächsten Freitag, aber nicht in Mailand: Liegt eure Yacht noch in Santa Marinella?"
"Ja, Enrico überlegt zwar immer wieder, die Spicchio di Luna zu verkaufen, weil wir so wenig Zeit haben, aber es hängen so viele Erinnerungen daran. Ich muss sowieso nach dem Boot sehen, der Winter hinterlässt doch immer irgendwelche Spuren. Kommst du direkt in die Marina?"
Am nächsten Donnerstag würde sie nach Rom fliegen, und von da aus mit einem Mietwagen in den kleinen Hafenort Santa Marinella fahren. Enrico hätte keinen Anlass, das verdächtig zu finden. Zwar waren Pflege und Wartungsarbeiten an der Yacht einer Firma anvertraut worden, aber es konnte nicht schaden, wenn jemand aus der Familie dort hin und wieder selbst nach dem rechten sah. Aus seinen geschäftlichen Aktivitäten hatte Enrico Mario zwar stehts herauszuhalten versucht, aber wenn es um die Pflege ihrer privat genutzten Besitztümer ging, hatte er ihr Engagement in der Vergangenheit sehr geschätzt.
Maria griff zu dem Flacon mit ihrem Lieblingsparfum, und gab je ein paar Tropfen hinter jedes Ohr, auf ihr Dekolleté und auf die Handgelenke. Mit geschlossenem Mund atmete sie ein paar Mal tief ein. Dann stand sie lächelnd auf und ging zu ihrem Kleiderschrank.
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